Identität und Differenz (Hall)

Identität ist niemals vollständig: ihr fehlt immer das Andere, das konstitutiv ist für sie. Das gilt nicht nur für die Identitätsbildung des Individuum (Lacan), sondern ebenso für die kollektiven, auch ethnischen Identitäten. Nicht Singularität, Homogenität, Authentizität – „Essenz“, Wesenhaftigkeit - machen Identitäten aus, sondern sie sind arbiträr, kontingent, hybrid. Differenz steht nicht im Widerspruch zu Identität, sondern ist ihr wesentlicher Teil. Daraus folgt, dass es keine Identität gibt, die jemals eine Einheit oder etwas Abgeschlossenes sein kann - sie ist in sich durch Differenz markiert.
So weit folgt Hall dem différance-Begriff von Derrida. Das von Derrida angenommene „endlose Spiel der Differenzen“ verwirft er allerdings als zu akademisch und greift das Konzept von Laclau auf, nach dem zwar Bedeutung unmöglich fixiert werden kann, jeder Diskurs aber versucht, das Feld zu beherrschen. Dem dominanten Teilnehmer gelingt es zeitweilig, das Fließen der Differenzen aufzuhalten, um ein Zentrum zu konstruieren (Rezentrierung) und bestimmte Signifikanten zu privilegieren. An diesen Punkten entstehen Äquivalenzketten, der Bedeutungsfluss wird aufgehalten und an kontingenten Punkten willkürlich geschlossen. So entsteht die Fiktion von „Einheit“ und kollektiver sozialer Identität. Diese Einheit besteht nicht notwendig und kann auch wieder gelöst werden.

Hall, Stuart: „Wann war ‚der Postkolonialismus‘? Denken an der Grenze“. In: Bronfen, Elisabeth/Marius, Benjamin/Steffen, Therese (Hg.): Hybride Kulturen. Beiträge zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte. Tübingen: Stauffenburg 1997, S. 219-246

1 Kommentar:

david santos hat gesagt…

Good work.!
Congrattulations!!!