Vorläufer der Transkulturalität

Carl Zuckmayer (1896 - 1977), "deutscher" Schriftsteller, beschreibt die Transkulturalität geschichtlich in Des Teufels General:
"[...] stellen Sie sich doch mal Ihre Ahnenreihe vor -seit Christi Geburt. Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl, braun wie ne reife Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Und dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie, das war ein ernster Mensch, der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begründet. - Und dann kam ein griechischer Arzt dazu, oder ein keltischer Legionär, ein Graubündner Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein Schwarzwälder Flözer, ein wandernder Müllerbursch vom Elsaß, ein dicker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pandur, ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler, ein böhmischer Musikant - das hat alles am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen und gesungen und Kinder gezeugt - und - und der Goethe, der kam aus demselben Topf und der Beethoven, und der Gutenberg, und der Matthias Grünewald, und - ach was, schau im Lexikon nach. Es waren die Besten, mein Lieber! Die Besten der Welt! Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben. Vermischt - wie die Wasser aus Quellen und Bächen und Flüssen, damit sie zu einem großen, lebendigen Strom zusammenrinnen."

Carl Zuckmayer, Des Teufels General, in: ders., Werkausgabe in zehn Bänden, Bd. 8, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1978, S. 93-231, hier S. 149
----------------------------------------
Neben anderen Ideen wie der des "Subjekt als Vielheit" prognostizierte Friedrich Nietzsche (1844 - 1900) für Europa einen Prozeß zunehmender Durchdringung, aus dem "eine Mischrasse, die des europäischen Menschen, entstehen muss". In Europa "vollzieht sich ein ungeheurer physiologischer Prozess der immer mehr in Fluss geräth, - der Prozess einer Anähnlichung der Europäer, ihre wachsende Loslösung von den Bedingungen, unter denen
klimatisch und ständisch gebundene Rassen entstehen, ihre zunehmende Unabhängigkeit von
jedem bestimmtenmilieu, das Jahrhunderte lang sich mit gleichen Forderungen in Seele und Leib einschreiben möchte, - also die langsame Heraufkunft einer wesentlich übernationalen und nomadischen Art Mensch, welche, physiologisch geredet, ein Maximum von Anpassungskunst und -kraft als ihre typische Auszeichnung besitzt."
Außerdem warnte Nietzsche vor jedem Rückfall in "Hornvieh-Nationalismus", "Vaterländerei und Schollenkleberei" und betonte dagegen, daß "der eigentliche Werth und Sinn der jetzigen
Cultur" "in einem gegenseitigen Sich-Verschmelzen und -Befruchten" liegt.

Nietzsche: Verschiedene Werke. Alle zitiert in: Welsch, Wolfgang (1997): Transkulturalität. Die veränderte Verfassung von Kulturen. Im Internet: http://www.perspektivenmanagement.com/tzw/www/home/article.php?p_id=409, 28.02.1997.
----------------------------------
Nach Welsch liefert Ludwig Wittgenstein (1889 - 1951), österreich-britischer Philosoph, die größte Hilfe für sein transkulturelles Konzept. Wittgenstein zufolge liegt Kultur dort vor, wo eine geteilte Lebenspraxis besteht, wo wir also, salopp ausgedrückt, miteinander zurechtkommen. Die Aufgabe liegt dann nicht eigentlich in einem Verstehen fremder Kulturen, sondern in der Interaktion mit Fremdheit.
Verstehensprozesse können hilfreich sein, sind aber, für sich genommen, nie ausreichend,
sondern nur in dem Maße nützlich, wie sie zu Fortschritten in Interaktionsprozessen führen. Das Aufmerksamkeitsmuster verschiebt sich damit weg von hermeneutischen Anstrengungen (mit ihrer Annahme völliger Fremdheit des Anderen auf der einen Seite und der mißlichen
Aneignungsdialektik des Verstehens auf der anderen Seite) zu entschieden pragmatischen
Interaktionsbemühungen. Und es gibt immer eine guteChance für solche Interaktionen, denn stets bestehen zumindest einige Verflechtungen, Überschneidungen und Übergänge zwischen den unterschiedlichen Lebensformen - und genau darauf hebt Wittgensteins Kulturkonzept ab. Kultur in Wittgensteins Sinn ist daher ihrem Prinzip nach offen für neue Verbindungen und weitere Integrationsschritte.

Alle Autoren zitiert in:
Welsch, Wolfgang (1997): Transkulturalität. Die veränderte Verfassung von Kulturen. Im Internet: http://www.perspektivenmanagement.com/tzw/www/home/article.php?p_id=409, 28.02.1997.

1 Kommentar:

Reeb hat gesagt…

Schöner Artikel zu diesem komplexen Themenfeld. Insgesamt erscheint das Konzept von Welsch ein wenig theoretisch aber m.E. durchaus zukunfsträchtig. Wenn man sich die Konzepte zum Thema Multikulturalismus bzw. Interkulturalität anschaut, dann trifft dieses Konzept sicher am meisten die "Realität".

Wir beschäftigen uns ebenfalls mit diesem Thema und haben einen Grundlagenartikel über Transkultralität erstellt, siehe http://www.ikud-seminare.de/transkulturalitaet.html